In seiner jüngsten Pressemitteilung geisselt das Bundesamt für Strassen, ASTRA, einmal mehr die E-Bike-Fahrenden als Unfallverursacher mit den höchsten Zuwachsraten bei den Schwerverletzten. Ausgeblendet wird, dass während des Corona-Lockdowns doppelt so oft ge-e-biked und dabei auch noch wesentlich weiter gefahren wurde. Dazu kommt, dass der Bestand der E-Bikes ersten Hochrechnungen zufolge 2020 nochmals um 165000 E-Bikes angewachsen ist. Heruntergerechnet auf Personenkilometer ist das E-Biken somit keinesfalls unsicherer geworden. Bei den Verunfallten, die tragischerweise ums Leben gekommen sind, wurde gemäss ASTRA sogar ein Rückgang von 7 auf 6 registriert.

Gemäss ASTRA ist die Zahl der schwerverletzten E-Bikefahrenden im ersten Halbjahr 2020 von 148 auf 207 Personen angestiegen. Stellt sich die Frage: Was ist überhaupt ein «Schwerverletzter»? Das Bundesamt für Statistik definiert es so: Als «Schwerverletzte» gelten seit 2015 Personen, die schwere, sichtbare Beeinträchtigungen aufweisen, die eine stationäre ärztliche Versorgung notwendig machen. Bis 2014 galten Personen noch als «Schwerverletzte», die starke Beeinträchtigungen aufwiesen, die normale Aktivitäten zu Hause für mindestens 24 Stunden verhinderten (z.B. Bewusstlosigkeit oder Knochenbruch [ohne Fingerbruch] oder eine andere Beeinträchtigung, die einen Spitalaufenthalt von mehr als 1 Tag erfordert). Ein recht dehnbarer Begriff also. Da drängt sich der Verdacht auf, dass das ASTRA versucht, mit alarmierenden Unfallzahlen, die effektiv aber wenig besagen, den Boden für eine Helmpflicht für langsame E-Bikes bis 25 km/h und weitere Sicherheitsmassnahmen (Tagfahrlich, Tachopflicht für schnelle E-Bikes) zu ebnen, die der Bundesrat vor kurzem in die Vernehmlassung geschickt hat.

Vor allem die Helmpflicht ist dabei höchst umstritten. 1990 wurde in der Schweiz eine Helmpflicht für Mofa-Fahrende eingeführt, die dazu geführt hat, dass der Markt für Motorfahrräder innerhalb von zwei Jahren komplett einbrach. Studien aus dem Ausland (Kanada, Neuseeland, Australien) haben gezeigt, dass nach der Einführung einer Helmpflicht für Radfahrer die Radnutzung deutlich gesunken ist. Forscher haben ausserdem festgestellt, dass Radfahrer mit Helm knapper von Autos überholt werden als unbehelmte.

Mit einer Helmpflicht wird nicht nur abschreckend signalisiert: Velofahren ist gefährlich! Die Regierung nimmt damit ganz bewusst in Kauf, dass der Boom in Richtung leichte, platzsparende und umweltfreundliche E-Bikes beendet wird. In Zeiten von Klimademonstrationen, steigenden Gesundheitskosten und Ansteckungsgefahr durch Covid-19 ein höchst fahrlässiges Vorgehen. Es ist ja nicht so, dass die Schweizerinnen und Schweizer Helmmuffel sind. Schon jetzt verunfallen etwa zwei Drittel der langsamen E-Biker mit Helm. Der Helm ist also keineswegs ein Allheilmittel gegen schwere Verletzungen.

Es gibt nur einen Weg, um das Velofahren und E-Biken sicherer zu machen: Es muss auch Velofahrenden eine adäquate Verkehrsinfrastruktur mit genügend Strassenraum zur Verfügung gestellt werden. Überholende Kraftfahrzeuge müssen (wie in Deutschland) den Zweiradlenkenden einen genau definierten Sicherheitsabstand gewähren.

Anstatt einseitig auf die Unfallzahlen zu fokussieren, und ständig die E-Bikenden an den Pranger zu stellen, müsste gerade in Corona-Zeiten auch mal ein Umkehrschluss erlaubt sein: Wie viele Leben wurden gerade in jüngster Zeit durchs Velofahren und E-Biken erhalten und verlängert? Wie viel gesundheitlicher Mehrwert, Lebensqualität und Freude konnten durchs Velofahren generiert werden? Wie viel Frust und Stress wird durchs Velofahren in der Stadt vermieden, weil man mit dem Fahrrad weniger gezwungen ist, im Stau zu stehen oder einen Parkplatz suchen zu müssen?

Quellennachweise:
Link zur ASTRA-Meldung: https://www.astra.admin.ch/astra/de/home/dokumentation/medienmitteilungen/anzeige-meldungen.msg-id-80502.html
Link zur ETH-Verkehrsstudie: https://ivtmobis.ethz.ch/mobis/covid19/reports/latest_de
Auswirkungen von Helmvorschriften:  http://www.cycle-helmets.com/cycling-1985-2011.html
Verhalten von überholenden Autofahrern bei Velohelmträgern:  http://www.bath.ac.uk/news/articles/archive/overtaking110906.html